florian berger

Replik zur Stellungnahme Serious Games von Matthias Burchardt

"Der Einsatz von 'Serious Games' in der Schule ist [...] kategorisch abzulehnen"? Sicherlich nicht.

Sehr geehrter Herr Burchardt,

ich beziehe mich mit diesem Schreiben auf Ihre Antwort auf die Fragen zum Thema "Digitalisierung" der Enquetekommission "Kein Kind zurücklassen" des Hessischen Landtags vom 11.10.2016, öffentlich unter http://www.lehrerverband.de/Digital-Dr.M.Burchardt.pdf.

Ich darf mich zunächst vorstellen: mein Name ist Florian Berger, ich bin Ingenieur für Medientechnik und arbeite als Doktorand zum Thema "Adaptives Game-based Learning" an der Pädagogischen Hochschule zu Weingarten. Ich habe am Center for Computer Games Research der IT University of Copenhagen geforscht, mehrere Jahre als Entwickler von Serious Games unter anderem für die EU-Kommission gearbeitet und unterrichte an deutschen Hochschulen. So viel zu meiner Person.

Ich schreibe Ihnen hier als selbstständiger Forscher und nicht im Namen einer Institution, Arbeitsgruppe oder eines Lehrstuhles.

Auf die Frage der Enquetekommission

Welche Bedeutung kommt "Serious Games" und Lernspielen zu? Welche Lerneffekte lassen sie erwarten – und wie kann das ggf. schulisch genutzt werden?

antworten Sie:

Gamification ist ein bedenklicher Trend, der Verhaltens- und Bewußtseinsänderungen nicht auf dem Wege des Diskurses oder des Appells an die mündige Person sucht, sondern als unterschwellige Steuerung über Anreize, Belohnungen usf. . "Serious Games" stellen die Schülerinnen und Schüler in einen Handlungsrahmen, der diesen weder offengelegt noch gestaltbar gemacht wird. Das kybernetisch-algorithmische Kraftfeld steht nicht zur Disposition. Diese Spiele sind auf Anpassungsleistungen angelegt und insofern antiemanzipatorisch. (Vgl. Foucaults Studien zur Gouvernementalität) Der Einsatz von "Serious Games" in der Schule ist deshalb kategorisch abzulehnen.

Ich möchte darauf zunächst mit einem Zitat von Klaus Mann antworten:

"Ich weiß nicht, was mich mehr frappiert: die Niedrigkeit Ihrer Gesinnung oder die Naivität, mit der Sie diese zugeben."

Herr Burchardt, Ihre Privatmeinung ist zu akzeptieren, und auch, dass Sie diese auf Anfrage vortragen. Was ich jedoch in höchstem Maße bedenklich finde ist, wenn Sie als Wissenschaftler gefragt werden und dann einen reaktionären Unsinn als Stellungnahme abgeben, der orthogonal zu einem Korpus an über dreißig Jahren Spieleforschung steht. Man bekommt geradezu Lust, Ihnen mit einer papiernen Buch- und Artikelsammlung die Bürotür zu versperren.

Wenn Sie es dabei bewenden ließen, öffentlich dumme Sachen zu sagen, so könnte man es möglicherweise auf sich beruhen lassen — es wird sehr viel Dummes gesagt in diesen Tagen. Was Sie jedoch, lieber Herr Burchardt, tun, ist einen Angriff auf Ihre Kolleginnen und Kollegen und auf eine ganze Disziplin zu reiten — ich würde Sie Ihrerseits jetzt diffamieren, unterstellte ich Ihnen, noch nie von Game Studies, Game-based Learning und Digital Games Science gehört zu haben — auf hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im In- und Ausland, auf Konferenzen, Tagungsbände und Journale. Sie glauben, es sich herausnehmen zu können, ein ganzes Forschungsfeld abzuqualifizieren. Und damit hört es auf, nur dumm zu sein, und wird bestenfalls unkollegial, in der Sache jedoch vielmehr ehrenrührig. Ich wünsche mich selten in vergangene Jahrhunderte zurück, aber ich bekenne, Ihre Stellungnahme schafft es, mich bedauern zu machen, dass ich keine Satisfaktion fordern kann.

Es wäre, wie Ihnen bekannt sein dürfte, ein Leichtes, Ihre steile These in der Sache zu disqualifizieren. Man weiß gar nicht wo anfangen: bei den Arbeiten von Garris [2002], Whitton [2007], Greitzer [2007], Hense und Mandl [2009], Becker [2010]; oder vielleicht bei denen Ihnen sicher ebenso bekannten Metastudien von Wilson [2008, Überblick über 42 Studien], Wouters [2009, Überblick über 28 Studien] oder Connolly [2012, Überblick über 129 Studien].

Nicht eine dieser samt und sonder peer-reviewten 207 Arbeiten stützt Ihre These. Dass Sie angesichts dessen nicht mal die Bescheidenheit aufbringen,

"lehne ich kategorisch ab"

zu schreiben, ist entweder der akademischen Gemeinschaft feindselig, oder dummdreist, und es fällt mir schwer zu entscheiden, was ich schlimmer finde.

Ein Leichtes wäre es, wie gesagt, aber bei genauer Betrachtung machen Sie es selbst unnötig. Postfaktische Thesen, solide auf Bauchgefühl gezimmert, sind auf den Straßen große Mode dieser Tage; und es spricht für sich, dass Sie es für unnötig halten, Ihre zitierte Ausführung nach Regeln guten wissenschaftlichen Arbeitens zu belegen. So provokativ Ihre These daherkommt, so wenig satisfaktionsfähig erscheinen Sie in der Sache.

So bleiben mir Ihnen abschließend zwei Wünsche zu übermitteln:

Ich wünsche, dass Sie zur Kenntnis nehmen, dass Spiele ein so fundamentaler Kulturanker meiner und der jüngeren Generationen sind, dass sie in erhabener Breite und Gelassenheit Einzug in unsere Lern- und Arbeitswelten halten werden. Sie sind schon dabei: in der Minute, in der Sie das hier lesen. Sie können gern die Rolle des grantelnd Dabeistehenden einnehmen. Aufhalten werden Sie den Zug nicht.

Und ich wünsche, dass Sie unsere Forschungsdisziplin mit dem Respekt behandeln, der ganz selbstverständlich zur guten wissenschaftlichen Kinderstube gehören sollte. Auch und gerade, wenn Ihnen das aufgrund Ihrer persönlichen Meinung schwer fallen sollte.

Mit freundlichen Grüßen,

Florian Berger

Diskussion gern auf Twitter.